Fast genau 6 Jahre ist es nun her, als ich hier auf Kopfbox den Sennheiser HD800S getestet habe. Knapp drei Monate später, im Jahre 2018, stellte Sennheiser den HD820 vor. Er sollte die Tugenden des HD800 mit denen eines geschlossenen Systems kombinieren. Und auch Jahre nach seiner Veröffentlichung ist der HD820 nicht alt, aber natürlich sehr wohl gealtert. Ob er dennoch weiterhin ganz oben mitspielt und 2023 immer noch eine Empfehlung wert ist, das lest ihr hier.
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[Werbung] Auch wenn ich den Sennheiser HD820 selbst gekauft habe, sei hier der Hinweis erlaubt.
Ich habe in den letzten Jahren wirklich viele Kopfhörer gehört, viele selbst besessen und viele auch wieder gehen lassen. Bei aller Fluktuation gab es aber stets ein paar Konstanten. Und dazu gehört definitiv auch der Sennheiser HD800S. Seit dieser in meinem Besitz ist, bekommt er immer regelmäßig Spielzeit. Bühne, Präzision und Auflösung sind für mich nach wie vor unerreicht. Neue Kopfhörer – wie z.B. der Hifiman HE1000v2 Stealth – kommen da gut mit, können ihn in diesen Disziplinen aber schlussendlich auch nicht überflügeln.
Einzig die Bassquantität gereichte vielen Rezensenten zur Kritik – spielt der HD800S doch insgesamt basstechnisch auf der leichteren Seite. Für mich und bei meiner favorisierten Musikrichtung Rock & Metal stellte das kein großes Manko dar – denn die vortreffliche Bassqualität macht das mehr als wett. Trotzdem war ich natürlich neugierig, wie sich der Sennheiser HD820 bzgl. Bass im Vergleich zu seinem offenen Bruder schlägt.
Gelten offene Kopfhörer doch meist als die „besseren“ Kopfhörer, da sie allein bauartbedingt schon oftmals eine größere Bühne und transparentere Wiedergabe und Detailauflösung bieten, will der HD820 hier den Gegenbeweis antreten. Nachdem ich ihn auf diversen Veranstaltungen immer und immer wieder gehört habe, war klar, daß er irgendwann als Ergänzung zum HD800S hier einziehen wird. Denn mir gefiel bei jeder Gelegenheit was ich hörte.
Sennheiser HD820
Der geschlossene Bruder des HD800 lässt die Familienzugehörigkeit unmißverständlich auf den ersten Blick erkennen. Die Bügelkonstruktion zur Kopfgrößenanpassung ist identisch und das Design der Ohrmuscheln findet seine Entsprechung mit den an ein geschlossenes System erforderlichen Anpassungen.
Die Auffälligste ist hierbei die nach außen geschlossenen Gehäuseschale. Sennheiser hat hier einen bauartbedingt erforderlichen Schritt direkt mit einer Optimierung und gleichzeitigem Eye-Catcher in Form eines Glasreflektors verbunden. Die gläsernen Gehäuseabdeckungen sind beim HD820 aus Gorilla-Glas gefertigt. Die konkave Abdeckung fungiert hierbei auch gleich als Element zur Klangoptimierung. Indem es die vom Treiber rückwärtig ausgesendeten Schallwellen aufgrund der konkaven Form (aus Treibersicht) an im Gehäuserand sitzenden Absorber leitet, werden Resonanzen und Verzerrungen durch Schallreflexion effektiv vermieden.
Beim Treiber selbst handelt es sich um den bewährten 56mm Ringradiator aus der 800er Serie. Ob Sennheiser auch am Treiber selbst Anpassungen vorgenommen hat, ist mir nicht bekannt.
Aktuell scheint es eine Preisreduzierung gegeben zu haben, denn der HD820 war immer für 2.399€ im Shop von Sennheiser gelistet. Mittlerweile steht er dort für 1.999€. Auf Nachfrage teilte mir Sennheiser mit, dß dies nun der aktuell UVP ist. Der Preis von knapp 2K € scheint für mich auf jeden Fall schlüssiger, 2.4k € hatte ich immer als etwas überteuert empfunden im Vergleich zum HD800S.
Verpackung & Lieferumfang
Kommt es etwa doch auf die Größe an? Ein Blick auf den Karton des HD820 könnte diese Vermutung aufkommen lassen – die Verpackung ist riesig! Ganz so, als wolle Sennheiser seinem aktuell teuersten Flaggschiff-Kopfhörer – der UVP lieht bei 2.499€ – gerecht werden. Kennern wird auffallen, daß ich den HE-1 unterschlagen habe. Logo, mit knapp 70.000€ ist das System das wahre Flaggschiff – spielt m.M.n aber aufgrund der absoluten Luxus-Zielgruppe ausser Konkurrenz.
Zurück zur Box des HD820: Sie besteht im Wesentlichen aus einer dicken Papp-Schatulle mit einem aufklappbarem Deckel, welche in einen bedruckten Pappschuber eingeschoben wird. Innen liegt der Kopfhörer auf ausgeschnittenem Schaumstoff.
Neben dem HD820 finden sich gleich zwei hochwertige, 3 Meter lange und textilummantelte Kabel im Lieferumfang: Ein Kabel mit 6.3mm Klinkenanschluss und ein symmetrisches, speziell abgestimmtes Kabel mit 4.4mm Stecker. Außerdem dabei: Ein Microfaser-Reinigungstuch und eine Bedienungsanleitung.
Technische Daten
Hier der Vollständigkeit halber die technischen Daten.
- dynamisch, geschlossen, ohrumschliessend
- Impedanz: 300 Ω
- Audio-Übertragungsbereich: 6 – 48,000 Hz (-10 dB)
- Empfindlichkeit: 103dB (1V)
- Klirrfaktor: bei 1KHz 0.02 % (1 kHz 1 Vrms)
- Anschlussstecker: 6.3mm und 4.4mm
- Kabellänge: 3m
- Gewicht ohne Kabel: 360 g
Design & Verarbeitung
Der HD820 ist auf Anhieb als Mitglied der 800er Serie zu erkennen. Natürlich besitzt er die gleiche, futuristisch anmutende Konstruktion wie sein offener Kollege. Das Design ist zeitlos und doch hat es einen modernen Charakter. Auch wenn viel Kunststoff zum Einsatz kommt, so sehe ich dies hier nicht als Problem. Der verwendete Kunststoff ist hochwertig und fasst sich keineswegs billig an. Im Gegenteil, die Haptik ist ausserordentlich gut. Außerdem verhilft der Kunststoff zu der leichten und stabilen Konstruktion, die sich mittlerweile so gut bewährt hat.Mein HD 800s ist nun fast 6 Jahre alt und noch absolut in Top Form! Lediglich die Pads habe ich kürzlich erneuert – der Schaumstoff ist bröselig geworden. Nach dieser Zeit absolut okay finde ich.
Der HD820 kommt fast komplett in Mattschwarz daher. Das silbrige, akustisch durchlässige Edelstahlgeflecht ist einem schwarzen Kunststoff gewichen. Durch die Glasreflektoren ist als willkommener Farbakzent aber weiterhin Edelstahl zu sehen. Die gesamte Konstruktion ist im Handling recht robust und macht einen soliden Eindruck.
Sennheiser nennt die verwendeten Stecker übrigens „Hochpräsizionsstecker“. Was sofort auffällt, ist die genaue Passung der Stecker in den Buchsen der Hörmuscheln. Einmal eingesetzt „saugen“ sie sich regelrecht fest – super!
Die Kabel sind wie der Kopfhörer selbst erstklassig Verarbeitet, hochwertig und robust. Allerdings sind sie auch recht dick und damit bei reiner Nutzung am Schreibtisch/Hörplatz mir persönlich mit 3m Länge einfach zu lang. Dem Sofahörer wird genau das gefallen – man kann es nicht jedem recht machen.
Tragekomfort
Auch wenn die Form der Ohrmuscheln von HD820 und HD800 sehr vergleichbar ist, so sitzen sie doch unterschiedlich. Die Polster des 800er sind sehr dünn, die des 820 deutlich dicker und tiefer. Die Außenseite ist Kunstleder, die Kontaktfläche zur Haut mit einem weichen Velour überzogen. Beide sitzen bei mir sehr bequem, der 820 fühlt sich etwas weicher an.
Der mit Microfaser ausgepolsterte Kopfbügel besitzt zur Druck-Entlastung im Bereich der Fontanelle eine Aussparung in der Mitte, so ist ein Tragen auch über einen langen Zeitraum möglich. Die Bügelverstellung geht etwas leichtgängig und verstellt sich manchmal ungewollt beim Auf- und Absetzen – das kenne ich bereits von meinem HD800s.
Klangqualität
Ich habe den HD820 an verschiedenen Quellen gehört. Zum einen natürlich am geliebten Questyle CMA Fifteen (Test), zum anderen aber auch an verschiedenen DAP wie dem Astell & Kern KAN MAX (Test), dem Sony WM1A, oder dem iBasso DX320 Max (Test).
Der Sennheiser HD 820 ist kein mobiler Hörer. Mit einer Impedanz von 300Ω braucht er einen leistungsfähigen Zuspieler. Ein ordentlicher DAP ist hier grundsätzlich auch schon ausreichend, ein stationärer Kopfhörerverstärker allerdings ideal.
Der HD820 zeichnet sich durch eine angenehme Tonalität aus, die eine ausgewogene Mischung aus Präzision und Wärme bietet. Die Klangsignatur ist in sich harmonisch und rund. Ziel der HD820 Entwicklung war ja, die offene, weite und breite Bühne des HD800 in einem geschlossenes System zu realisieren. Und ja, hier muss ich sagen, das ist Sennheiser verdammt gut gelungen. Der HD820 klingt für mich offener als alle anderen Geschlossenen, die ich kenne.
Hierbei ist jedoch zu beachten, daß ein vollständiger Seal unbedingt erforderlich ist, um diese Klangqualität zu liefern und den Bass zu vollen Entfaltung zu bringen. Es gibt viele recht negative Reviews über den HD820, die ich in kleinster Weise nachvollziehen kann. Wie gesagt: Extrem wichtig, daß der Kopfhörer absolut dicht abschließt. Bei der Größe der Pads kann das je nach Kopfgröße schwierig sein.
Die einzelnen Bereiche:
Bass
Der Bass des HD820 entspricht exakt meinen Vorlieben. Seine Präzision und insbesondere das Transientenverhalten, vor allem bei Bassdrums und TomToms, sind kraftvoll und äußerst impulsiv. Die leichte Betonung im Midbass macht ihn besonders passend für Rock & Metal. Die Qualität des Basses ist schlichtweg herausragend! Er zeigt sich nicht nur linear und neutral, sondern auch äußerst präzise und stets perfekt kontrolliert.
Die straffe Kontrolle, der beeindruckende Punch und die wunderbare Textur des Basses des HD820 überzeugen unabhängig davon, ob es sich um tiefe Pauken, blitzschnelle Double-Bass-Drums oder einen Kontrabass handelt. Die Präsentation des Basses bleibt dabei zu jeder Zeit frei von Dröhnen oder Schwammigkeit, was die Gesamterfahrung nochmals auf ein bemerkenswertes Niveau hebt.
Mitten
Die herausragende Präzisionswiedergabe im Bassbereich des HD800S setzt sich auch im Mittenbereich fort. Gitarrenriffs werden äußerst detailliert, transparent und vielschichtig wiedergegeben, mit einer klaren, strukturierten Textur. Die Mitten des HD820 präsentieren sich äußerst präsent, klar und wohltexturiert. Insgesamt sehr ausgeglichen. Dies verleiht dem Kopfhörer eine gewisse Natürlichkeit. Die Anhebung im Bassbereich reduziert den Kontrast zwischen den Tiefen und Mitten, was zu einem geringeren „Wärmeverlust“ führt, eine Eigenschaft, die ich durchaus schätze.
Höhen
Konsistent liefert Sennheisers Spitzenmodell erneut herausragende Qualität: Ein kristallklares Auflösungsvermögen und eine funkelnde Darbietung im Hochtonbereich, die jedes noch so feine Detail akzentuiert. Die Klangwiedergabe präsentiert sich äußerst luftig, klar und detailreich, dabei jedoch stets ausgewogen, ohne in Schärfe oder Unangenehmheit zu verfallen.
Die bisher erlebte natürliche und angenehme Klangfülle setzt sich im Hochtonbereich konsequent fort, nachdem bereits der Bass und die Mitten überzeugten. Trotz der Anhebung in diesem Bereich klingen die hohen Frequenzen insgesamt sehr angenehm, und selbst bei scharfen Beckenschlägen oder lauten Ridebell-Pings geht nichts in der Mischung verloren. Die Anhebung manifestiert sich für mich vor allem in den Obertönen und dem Sustain von Toms oder Snaredrum. Interessanterweise bleiben die Stimmen für mich recht unverändert.
Bühne & Separation
Die Bühne ist das Meisterstück des HD820. Ja, sie ist etwas kleiner als die des HD800S – und dennoch ein ganz großes Kino! Wirklich erstaunlich, daß so etwas weites und luftiges mit einem geschlossenen System realisierbar ist – der HD820 klingt verdammt „offen“!
Soweit ich weiß verbaut Sennheiser den gleichen Treiber wie im HD800. So ist es auch kein Wunder, daß die Instrumentenseparation auf mindestens vergleichbarem Niveau ist. Ich jedenfalls kann keine signifikanten Unterschiede herausarbeiten. Hier ist der Treiber immer noch mehr als Konkurrenzfähig und spielt auf einem Niveau, von dem andere Kopfhörer (nicht nur offene) träumen können.
Isolation
Ein geschlossener Kopfhörer schottet Geräusche von außen nach innen genauso ab wie Musik von innen ich Außen. Und das ist auch beim HD820 grundsätzlich der Fall. Allerdings nicht auf dem gewohnten Maß. Denn es hört sich für mich trotz richtigem Seal nicht so hermetisch abgeriegelt an wie man es von z.B. Studiokopfhörern zur Aufnahme kennt. Je nach Anwendungsfall (und gehörter Lautstärke) könnte hier die Erwartungshaltung an einen geschlossenen Kopfhörer nicht vollends erfüllt sein.
Sennheiser HD820 vs HD800S
Die Frage der Frage, selbstverständlich. Und eines kann ich direkt sagen: Beides sind fantastische Kopfhörer.
Ist die Rechnung aufgegangen?
Also hat man es geschafft, den großartigen und weiten Sound des offenen Sennheiser Flaggschiffes in einem geschlossenen Kopfhörer zu realisieren? Ich finde: Ja – mit kleinen Abstrichen. Die Räumlichkeit des HD800S ist bekanntermaßen im Grunde Klassenprimus und es wäre schon ein Wunder, wenn man dies genauso hätte reproduzieren können. Trotzdem: Der HD820 kommt maximal dicht heran, ich habe solch eine breite und tiefe Bühnendarstellung noch bei keinem geschlossenen Kopfhörer erlebt. Detailauflösung und Intrumentenseparation sind auch auf Augenhöhe, der offene HD800S punktet bei der Separation trotzdem noch durch eine präzisere Trennung.
Und wie sieht es beim Bass aus?
Diese Frage dürfte sehr viele HD800S Besitzer interessieren. Der HD820 spielt die Vorzüge eines geschlossenen Systems voll aus. Mehr Druck, mehr Substanz, mehr Bass. Aber immer noch der qualitativ superbe Bass, den wir vom HD800S kennen und schätzen. Nur dieses Mal eben mit mehr „wumms“. Bassdrums sind druckvoller und einfach nochmal natürlicher am Geschehen als bei der offenen Variante.
Im Vergleich zu dieser Midbass-Anhebung spielt der HD800s etwas lauter ganz unten im Tiefbass, so daß er sich für Musik oder insbesondere Filme mit ebendiesem Frequenzanteil eher anbietet. Für perkussiven Bass wie wir ihn von Bassdrums oder dem E-Bass bzw. Kontrabass kennen, gefällt mir der HD820 besser. Am Ende spendiert die Tonalität dem HD820 einen Hauch von Wärme, aber so wohl dosiert, dass die eher neutrale und natürliche Abstimmung der 800er Reihe erhalten bleibt.
Fotogalerie
Fazit
Der Sennheiser HD820 ist ein weltklasse Kopfhörer, dem man seine klangliche Herkunftdeutlich anhört. Wie der offene HD800s spielt er mit einer fantastischen Brillanz, Klarheit und vor allem einer sehr großen und weiten Bühne. Fans des HD800s dürften hier voll auf ihre Kosten kommen, sollten sie auf der Suche nach einer geschlossenen Alternative sein.
Mehr noch: Ich finde, daß dem HD820 die präsentere Midbass-Betonung gerade bei Metal, Rock und Pop außerordentlich gut zu Gesicht steht. So ist der HD820 keineswegs nur eine geschlossene „Notlösung“, sondern ein überragender Kopfhörer auf Augenhöhe und auch Jahre nach seiner Vorstellung keineswegs in die Jahre gekommen.
Für alle Freunde des legendären HD800s Sounds mit seiner weiten Bühne und klaren Präsentation ist der geschlossene HD820 mehr als eine Alternative. Die etwas kleinere Bühne macht er durch druckvolleren Bass wieder wett. Klare Empfehlung von mir!